Rückreise und Resümee von der Via Tolosana

Frühmorgens verliessen wir das Benediktinerkloster in Richtung Busstation und ich war echt froh, von dort wegzukommen. Tinu ebenso.

Das ganze pseudoheilige Getue der Gäste, nicht der Mönche, war kaum auszuhalten. Ich habe schon in verschiedenen Klöstern auf all den Fernwanderungen übernachtet. Die meisten Erfahrungen waren wirklich erfreulich. Man hat Witze gemacht, Erfahrungen ausgetauscht, sich Geschichten erzählt, mit den Mönchen Wein getrunken und so weiter. Hier herrschte jedoch eine stille Freudlosigkeit, die zum Davonlaufen war. Aber das war vielleicht auch nur eine Momentaufnahme.

Wir standen etwas ratlos an der Bushaltestelle und wussten, dass wir so langsam die Heimreise antreten müssen. Der Südwind wehte nach wie vor so stark, dass wir uns fast anschreien mussten, um uns absprechen zu können, ob wir den Bus abwarten, oder Autostop versuchen sollen. Auf weitere Kilometer zu Fuss hatten wir keine Lust mehr. Bereits der zweite Wagen hielt an und über ein paar Umwege, weitere Autostops und schlussendlich mit dem Fernbus strandeten wir in Toulouse-Matabiau, dem Hauptbahnhof. Der überfüllte Regiozug führt uns nun innert zwei Stunden zurück nach Montpellier. Für fast dieselbe Strecke brauchten wir zu Fuss 13 Tage.

Die Via Tolosana war um einiges anstrengender als der letztjährige Camino Mozarabe von Malaga nach Cordoba. Insbesondere die total 6500 Höhenmeter Aufstieg und gleichviel Abstieg gehen ganz ordentlich in die Beine. Einige Etappen lassen sich nicht verkürzen, höchstens im Zweifelsfall mit einem Bus oder Taxi überspringen.

Die Wege sind teils schwierig zu gehen, da entweder viel Laub das lockere Gestein auf den Wegen bedeckt, oder felsige Wege bei Feuchtigkeit sehr rutschig sein können. Im Hochsommer ist der Weg wegen der Hitze und Trockenheit mit Vorsicht zu geniessen. Es muss mit 40 Grad gerechnet und Wasser für den ganzen Tag mitgetragen werden. (mindestens 4 Liter) Die Orientierung war nicht immer einfach. Teils zweigt der Weg überraschend ab, teils fehlen Wegmarkierungen oder sind zumindest unklar. Wir waren bei weitem nicht die Einzigen, welche sich verliefen. Vorzugsweise 2 verschiedene Orientierungshilfen verwenden. (Karte und GPS z.B.)

Landschaftlich und auch kulturell ist der Weg sehr zu empfehlen.

Castres – Dourgne (22 km; 349 hm↑294hm↓)

Der Wind scheint für uns ein permanenter Begleiter zu bleiben. Der Autan, wie dieser Südwind hier heisst, weht heute den ganzen Tag schon mit ca. 80-100 km/h über die fetten Kuhweiden und macht uns ganz kirre.

Etwas ausserhalb Dourgne liegt die Benediktinerabtei En-Calcat, in welcher wir heute übernachten. Wir nutzten die Gelegenheit und diskutierten über eine Stunde mit dem sympathischen Br. Colombin, der recht offen über sein strenges und schweigsames (während dem Essen z.B. wird nicht geredet), Leben hier erzählte. Nun, ich bin ehrlich gesagt sehr froh, ohne irgend ein Gelübde zu brechen, morgen nach dem Frühstück einfach gehen zu können.

Br. Colombin, Martin und Marcel:

Boissezon – Castres (16 km; 315 hm↑422 hm↓)

„Glücklicherweise“ liessen die angekündigten Niederschläge heute morgen erst gegen 11 Uhr nach und ich konnte mich nach dem Frühstück endlich wieder einmal dem einzigen mitgeschleppten Luxus, meinem Buch widmen.

Ich war meinen Füssen nach der gestrigen ungeplanten langen Etappe dankbar, dass sie es ohne zu mucken, mitmachten. Auch Tinu, immerhin gut 10 Jahre älter als ich, steckte die 32 km erstaunlich gut weg. Ebenso Sebastian, dessen Füsse noch vor 2 Tagen bemitleidenswert aussahen, schien die Etappe gut überstanden zu haben.

Der gestrige Weg nach Castres war ein Wechsel vom abgelegensten Dörfchen durch tiefste Wälder in eine laute Provinzstadt. Verschwitzt, schmutzig und vom Nieselregen durchnässt setzten wir uns in ein städtisches Café und waren ob den verachtenden Blicke der Gäste nicht erstaunt.

Abends, nach dem Duschen wieder etwas frischer, sprach Martin, spontan wie er ist, eine Einheimische nach einem kulinarischen Tip an. Ihr Hinweis auf das Fischrestaurant „Le Pescadou“, welches in der dunklen Seitengasse durch den dazugehörigen Fischladen betreten werden muss, ist wirklich 1A.

Es war eigentlich das Abschiedsessen mit Sebastian, welcher uns viel über sich erzählte. Geboren wurde er in Los Angeles, Kalifornien, studiert in Murcia (Spanien) und ist tatsächlich (gemäss seinem Instagram – Account „Phantomphotoproject“) von Lübeck durch ganz Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Spanien nach Lissabon gelaufen! Nun hat er jedoch vom Herumziehen genug und will sesshaft werden..

Heute Mittwoch besichtigten wir in Castres unter anderem das Goya – Museum und erholten uns ein wenig von den letzten Tagen. Morgen geht es zu Fuss weiter nach Dourgne.

Neophyten am Wegrand:

Castres:

Alle Strassen sind in Castres auf französisch und okzitanisch angeschrieben:

Zeit zum Reflektieren:

La Salvetat-sur-Agoût – Boissezon (32km; 700hm↑1150hm↓)

Eigentlich wollten wir heute lockere 18 km bis Anglès gehen und starteten entsprechend gemütlich erst gegen neun Uhr. Die riesigen Käse – Sandwiches aus zwei halben Baguettes, welche uns die Köchin für den Lunch zubereitete, waren für diese Distanz eigentlich völlig überdimensioniert und fanden in den Rucksackseitentaschen kaum Platz. Trotzdem, oder eben gerade deswegen freute ich mich insgeheim den ganzen Vormittag lang auf die Mittagspause 🤗. Wir suchten und fanden dann eine gemütliche, sonnige Ecke an einem Waldrand, setzten uns ins trockene Gras und verzehrten genüsslich unsere Sandwiches, ohne einen Gedanken daran zu verlieren, dass der Tag doch noch länger werden könnte, als ursprünglich geplant.

Als wir in besagtem tristen Dorf ankamen, stellten wir fest, dass der einzige Einkaufsladen geschlossen und es zudem im reservierten Gîte kein Abendessen geben wird. Ehrlich gesagt, nach solch einem Tag muss bei mir abends einfach etwas Warmes in den Magen, sonst besteht eine leicht erhöhte Gefahr auf Gereiztheit…

Wir klapperten, unterdessen wieder zu dritt mit Sebastian, das Dorf nach einer Mitfahrgelegenheit ab, waren aber erfolglos. Das einzige, was sich in diesem Nest von einem Dorf drehte, war der Betonmischer, mit welchem die Kirche gerade renoviert wurde. Und siehe da, schon wollte sich ein Kirchen – Maurer mit seinen Citroën aus dem Staub, sprich, aus dem Dorf machen. Tinu reagierte zum Glück schneller und konnte ihn überreden, uns bis zur Abzweigung Richtung Boissezon mitzunehmen. Dies verkürzte uns den zweiten Teil des heutigen Weges um 6 km, bescherte uns aber zusätzliche 12 km, respektive 3h Gehen auf Teer.

Gemäss unserem Reisebuch, erschienen 2018, sollte das Dorf Boissezon eine gute Infrastruktur haben. Jedoch haben in der Zwischenzeit die Bäckerei und die Metzgerei dauerhaft geschlossen, wie wir erfahren haben. Die Landflucht ist hier ausgesprochen gut sichtbar. Viele Häuser sind zum Verkauf angeschrieben.

Jetzt gibt es endlich etwas zu essen!

Murat-sur-Vèbre – westlich von La Salvetat-sur-Agoût (22km; 380hm↑520hm↓)

Mein Herz stimmte mit ein in diese Ode an das Leben, die die Natur an diesem Morgen sang.

(angelehnt an „Hagen“)

Mit anderen Worten, der erste Teil der heutigen Wanderung war an Schönheit kaum zu überbieten. Die Fotos vermögen dies vermutlich gar nicht wiederzugeben.

Zudem waren wir dankbar, dass es endlich wieder etwas flacher wurde. Da wir des Gehens etwas müde sind, wie wir beide heute festgestellten und auch der prächtigen Natur wegen, benötigten wir für die gut 20 km mehr als 8 Stunden. Was ja völlig sekundär ist.

All die anderen Wandervögel sieht man in unregelmässigen Abständen immer wieder. So auch ein kleiner, rundlicher Franzose, welcher im letzten Dorf mit durchgestreckter Brust nach 21 km praschallerte, (ehhh – ben – bon – schsui fransä), dass er jetzt noch 18 km anhänge. Er war dann sehr erstaunt, als wir ihn, oh welch dummer Zufall, nach einem weiteren Kilometer in derselben Auberge (namens „la Resse“) antrafen…

.. wär die Eiche nicht angeschrieben gewesen, wir hätten sie glatt übersehen 😆:

als Kavaliere mussten wir einen Umweg gehen: 🤔

St. Martin – Saint-Gervais-sur-Mare(23 km; 882 hm↑907 hm↓)

Der Tag begann gerade sein Licht zu verbreiten, als unsere Wecker klingelten. Gemeinsam mit dem Sonnenaufgang nahmen wir, vorbei am Neuseeländer – Haus, den 4 – stündigen Aufstieg unter die Füsse.

Je höher wir aufstiegen, desto mehr ersetzte die mediterrane Buschvegetation die Kastanien- und blühenden Kirschbäume. Nicht die kleinste Wolke trübte den blauen Himmel. Jedoch pfiff wiederum ein kalter unangenehmer Wind an den Berghängen hoch. Der windige Anstieg brachte mich mit Fliesjacke zum Schwitzen und ohne zum Frieren.

Nach zwei Stunden machten wir es uns auf ein paar Baumstämmen bequem und begannen unsere Orangen zu schälen, als uns Álvaro einholte. Ich muss gestehen, eigentlich heisst er gar nicht Álvaro, sondern Sebastian. Mir war gestern schlicht sein Name entfallen. 🤓

Zu dritt setzten wir unsere Wanderung, nun mit einem Deutsch – Spanischen Sprachenmix fort. Doch irgendwie wurden wir aus Sebastian nicht schlau. Einerseits erzählte er uns, dass er durch ganz Deutschland und die Schweiz gepilgert sei, andererseits konnte der Junge, der jetzt mit seinem Zelt unten am Fluss schläft, abends vor Müdigkeit und Blasen an den Füssen fast nicht mehr gehen. Wir haben ihm eine Übernachtung im Gîte und Pflaster angeboten, was er jedoch ablehnte.

Unsere heutige Schlafgelegenheit befindet sich gleich über einer Bäckerei. Der allgegenwärtige Geschmack von frischem Mehl, Baguettes und Croissants lässt mich sicher noch von ebensolchen träumen.

Sebastian, Marcel und Martin nach der Etappe:

Joncels – St. Martin (9 km; 250 hm↓)

In der Nacht ist merklich kühler geworden und frühmorgens pfiff ein unangenehmer, kalter Wind durchs offene Fenster. Wir liessen uns jedoch nicht aus der Ruhe bringen, frühstückten bei philosophischen Gesprächen im Wissen um die kurze Etappe, die vor uns stand. Gegen 10 Uhr verliessen wir Joncels und schlenderten gemütlich talabwärts. Vor lauter „wir habens im Griff“ und gefühlter Souveränität verliefen wir uns prompt und mussten mit Hilfe des GPS einen steilen Hang durchs Dickicht und entlang von Wildpfaden wieder hochkraxlen. Ausser Atem zogen wir auf dem wiedergefunden Weg die Jacken aus und folgten nun aufmerksamer dem restlichen Pfad Richtung Lunas. In diesem Dorf angekommen, betraten wir die Dorfspelunke, bestellten 2 x Café au lait und wurden von den Stammgästen, welche sich bereits mit Roséwein beschäftigten, intensivstens gemustert. Als scheinbar Ausserirdische abgestempelt, tranken und bezahlten wir den Kaffee, verliessen die Bar und begegneten vor dem angeschriebenen Haus dem jungen Peregrino, namens Álvaro aus Huelva (Andalusien). Er ist alleine unterwegs, studiert(e) Ethnologie in Spanien (…) und schläft meistens mit dem Zelt draussen irgendwo in der Wildnis. Er hat seine Reise vor 2 Monaten angetreten! Unglaublich. Meines Erachtens sah er auch etwas Durchfroren aus, freute sich aber, ein paar Worte auf spanisch zu wechseln, bis wir festgestellten, dass er eigentlich ganz gut deutsch spricht… Ich bin mir sicher, dass wir ihm irgendwo wieder begegnen werden.

In St. Martin angekommen, suchten wir unser vorher reserviertes Gîte auf und machten uns auf den Weg um das Dorf, wieder einmal mit einer überdimensionalen Kirche zuoberst, zu besichtigen. Gleich am Dorfeingang begegneten wir einem Mann um die 50, welcher mit seinem mehrgeschossigen, mittelalterlichen Anwesen beschäftigt war. Ich sagte zu ihm: „C‘est très jolie, votre maison.“ Er antwortete: „Excuse me, I do not understand French.“

Im weiteren Gespräch in ihrem Haus bei Kaffee und Tee erfuhren wir, dass das frühpensionierte Banker- Ehepaar aus Neuseeland stammt und seit zwei Jahren das Haus, welches 1620 ursprünglich gebaut wurde, mit viel Liebe und Geld am Renovieren sind. Während den europäischen Sommermonaten sind sie in Frankreich, die restliche Zeit in Neuseeland. Auch so lässt es sich leben, auch wenn es mir nicht entsprechen würde.

Unser heutiges Gîte, inklusive Küche und 2 Zimmern für uns, befindet sich neben dem Haus eines freundlichen, französischen Rentnerehepaares. Wir haben Fisch, Poulet, Reis und Gemüse eingekauft und das erste mal für uns gekocht.

Die nächsten 2 Etappen werden recht herausfordernd sein und uns über diverse Pässe auf eine Hochebene führen. Die Wettervorhersage ist jedoch gut und wir sind zuversichtlich, dass das klappt. Heute haben wir insgesamt bereits über 100 km Fussmarsch hinter uns.

Zu Besuch bei den Neuseeländern:

Unsere Küche:

Höhenprofil der nächsten Etappe:

Bild kann leider nicht gedreht werden..)

Lodève – Joncels (22 km; 773 hm↑; 558 hm↓)

Um noch kurz am gestrigen Tag anzuknüpfen: Bei Didier und Beatrice (Chambre d’ Hôtes l’Amourier in Lodève) wurden mit einer marokkanischen Tajine mit Fisch und Lamm sondergleichen verwöhnt. Doch das Einzigartige waren eigentlich die persönliche Bedienung, die interessanten Gespräche und die Aufmerksamkeit des älteren Paares, welches viel erlebt hat, dies aber nicht in den Mittelpunkt stellte. Wir waren uns gestern Abend bewusst, dass heute eine anstrengende Etappe vor uns stand und so endete der gediegene Abend eigentlich viel zu früh.

Um 7 Uhr klingelten die Wecker und nach einem ausgiebigen Frühstück machten wir uns in Begleitung von Beatrice auf den Weg. Sie zeigte uns den Einstieg ins steil ansteigende, dunkle Bachbett, welches uns als Weg und Abkürzung auf den offiziellen Weg führte. Nach 600 hm und 2 h Anstieg gönnten wir uns eine Pause. Nach der Pause kam uns doch tatsächlich Henri, der Pariser entgegen! Nach einem etwas zu exaltierten „Eh, bonjour les amis Suisse“ verging ihm die gute Laune, als wir ihm erklärten, dass er in die falsche Richtung gehe. Nach einigen „mais c‘est pas possible“, konnten wir ihn überzeugen, dass er und nicht wir uns verirrt haben!

Doch auch uns hätte das geschehen können. Der Weg ist meines Erachtens nicht überall gut markiert und wir versichern uns immer mit 2 Quellen, ob der Richtungswechsel nun tatsächlich stimmen kann.

Joncels ist ein 300 – Seelen Bergdorf ohne Restaurant, Bar und Bäckerei. Die Dorfbewohner leben von der Holzfällerei oder den Wanderern, welche hier im Gîte absteigen. Das mit Abstand grösste Gebäude ist die Benediktinerabtei aus dem 7. Jahrhundert, welche wir morgen noch besichtigen wollen.

Chambre d’ Hôtes l’Amourier à Lodève:

en chemin:

à Joncels:

Saint-Jean-de-la-Blaquière – Lodève (16 km; 425 hm↑; 420 hm↓)

Vom heutigen Tag erwartete ich eigentlich nicht so viel. Es war für mich im Kopf irgendwie so ein Zwischenabschnitt zwischen zwei grösseren Etappen. Doch wie ist es im Leben? Je kleiner die Erwartungen, desto grösser das Überraschungspotential. So war es denn auch heute. Die verwunschenen Wege und die blühende Vegetation waren einfach einzigartig.

Lodève ist ein kleines Städtchen, welches nicht unbedingt in die Kategorie „les plus beaux villages de la France“ gehört. Jedoch mehr per Zufall stiessen wir im Wanderführer auf die Adresse eines Chambres d‘hôtes und reservierten per Telefon ein Zimmer und liessen uns vom Sohn des Besitzers in Lodève mit dem Auto abholen. Zu Fuss wären wir nochmals eine Stunde gelaufen. Endlich wieder einmal etwas mehr Luxus mögen wir uns beide gönnen. Nun warten wir also gespannt in der durchgestylten Villa des pensionierten Apothekers von Lodève auf dessen Kochkünste.

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